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Mein Leben mit dem Beben (2)

Christchurch, auf Sand und Klippen gebaut
 
Das Erdbeben am 22. Februar 2011 war ein traumatisches Erlebnis in Lyttelton. Aber auf der anderen Seite der Port Hills in Christchurch war alles noch viel schlimmer. Der Grund: Christchurch, die größte Stadt der Südinsel Neuseelands, wurde auf Schwemmland erbaut. Das ist auch der Grund, warum der Hafen hier bei uns in Lyttelton ist und nicht direkt an der Küste vor Christchurch. Lyttelton liegt im Krater eines erloschenen Vulkans, die Häuser stehen auf stabilem felsigen Grund. In Christchurch sanken die Häuser einfach ab, weil sich der sandige Untergrund verflüssigte.
 
Die Straßen bogen sich wie Wachs, rissen auf, Sandfontänen schossen wie Lava aus einem Vulkan - auf Straßen, in Gärten, durch Risse in den Fundamenten direkt in viele Wohnzimmer. Einige Hochhäuser stürzten ein wie Kartenhäuser.
Die Innenstadt ist noch immer gesperrt. Ein Gebäude nach dem anderen wird abgerissen. Hier ist alles zusammengekommen, was schlecht ist: schwammiger Untergrund, hohe und/oder alte Gebäude aus Stein oder billige Wackelbuden, Instabilität durch das Flüsschen Avon.
 
Es wird noch lange dauern, bis Christchurch wieder ein schönes Gesicht haben wird.  Ich wandere regelmäßig an den Absperrgittern entlang, um die Zerstörung und den Neuaufbau zu verfolgen. Nachbeben erinnern uns ständig an die schlimmsten Minuten unseres Lebens.             
 
Epizentrum 
Das Epizentrum eines Erdbebens ist die Zone, die über dem Zentrum des Bebens liegt, denn die Beben passieren ja unterirdisch. Das, was wir an der Erdoberfläche sehen, sind lediglich die Folgen der Bewegungen in der Erdkruste: Zerstörung, Tod und Chaos.
Die griechische Vorsilbe "epi" bedeutet: über, bei.
Das Epizentrum des September-Bebens war bei Darfield, 70 Kilometer westlich von Christchurch, jenes im Februar unter den Port Hills zwischen Lyttelton und Heathcote, nur zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Deshalb die Zerstörung.
 
Untergrundverflüssigung
Das war die Hauptursache, warum die Zerstörung in Christchurch so massiv war. Wenn die Erde plötzlich wegsinkt, liegt das daran, dass der Untergrund aus lockerem Sand besteht. Dieser Sand ist in ruhigen Zeiten relativ solide, wenn schwere Gebäude darauf stehen. Aber wenn der Untergrund plötzlich zu rumpeln und zu schwingen beginnt, verliert er seine Festigkeit. Durch die Bewegung werden Sand und Wasser getrennt, der Sand sinkt ab, das Wasser steigt nach oben. Der nächste Rumpler drückt dann den Sand mit mächtigem Druck nach oben, die Oberfläche bricht.
 
Rund um den Porritt Park
Kernstück des Porritt Parks war das Hockey-Stadion. Der Kunstrasen sieht aus wie ein Wellental. Rund herum haben sich Gräben aufgetan.
 
Sandiger Untergrund
 
Riesenhindernis für kleinen Bär
 
Abgestürzte Klippen
In den südlicheren Küsten-vororten, inbesondere in Sumner und Redcliffs, gab es weniger Probleme mit der Verflüssigung des Untergrunds als mit den eindrucksvollen Klippen. Wie in Lyttelton und anderen Orten an der Bucht von Lyttelton - auf der anderen Seite der Port Hills - ist Steinschlag die größte und andauernde Gefahr.
 
Vor dem Ortseingang von Sumner stand der eindrucksvolle Shag Rock am Strand.
 
Die "Red Zone"
Der Stadtkern ist die so genannte Red Zone. Hier stehen viele einsturzgefährdete Gebäude, die nacheinander abgerissen werden müssen. Nur wer mit den Abrissarbeiten zu tun hat oder eine Sondergenehmigung hat, darf hinein. Soldaten und Polizisten bewachen den Zaun, der das Stadtzentrum abriegelt. Das graue Gebäude am Horizont ist die Kathedrale, das abgestützte rote Gebäude vorne links ist Our-City-o-Tautahi - das ist der Maori-Name für Christchurch.
 
Die Statue...
Dort, wo ich sitze, stand bis zum 22. Februar 2011 um 12.51 Uhr  eine aus weißem Marmor gemeißelte Statue von William Rolleston, einem der Pioniere der Provinz Canterbury.
 
Das Arts Centre
Gegenüber dem Canterbury-Museum befindet sich das Arts Centre, ein weit verzweigter Gebäudekomplex mit Türmchen, Erkern und Innenhöfen, in dem früher die Universität untergebracht war.
 
Am Wochenende fand vor dem Arts Centre ein Markt statt, und in einem der Innenhöfe standen Fressbuden mit Köstlichkeiten aus aller Welt. Wir sind dort oft zum Mittagessen hingegangen. Jetzt ist alles eingezäunt - für lange Zeit.
 
Mit schweren Gerüsten - wie auf dem Foto oben am Uhrturm des Arts Centres - werden die Gebäude stabilisiert, damit sie bei den vielen Nachbeben nicht einstürzen. Später müssen Verstärkungen eingebaut werden.
 
Nicht nur zwei Beben
Meistens wird nur von zwei schweren Erdbeben in und um Christchurch gesprochen. Zwischen dem September- und dem Februar-Beben war jedoch eines, das erheblichen Schaden im Stadtzentrum angerichtet hat, obwohl es nur die Stärke 4,9 auf der Richter-Skala hatte. Aber das Epizentrum dieses (Nach-)Bebens am Zweiten Weihnachtsfeiertag (Boxing Day) war unter dem Stadtteil Opawa, also auch ganz nah am Zentrum. Deshalb entstanden größere Schäden im Stadtkern als im September. Von einigen Gebäuden fiel Steinwerk. Auch die Kathedrale wurde leicht beschädigt.
 
Überschwemmungen
Einige der östlichen Stadtteile - das sind jene in Küstennähe - standen bis zu einem halben Meter unter Wasser. Das ist die extreme Form der Verflüssigung des Untergrunds. Manche Straßen sahen aus wie Kanäle, so weit aufgerissen waren sie. Andere Straßen waren Schlammwüsten. Autos stecken schräg in der festen grauen Masse und mussten in mühsamer Arbeit freigeschaufelt werden. Wieder andere Straßen sahen wie Buckelpisten aus. Durch den Druck des Wassers unter der Oberfläche wölbte sich der Asphalt, brach aber nicht. Kanaldeckel wurden angehoben und sanken ins Nichts.
 
Blick in den Abgrund
Ursache für die Entstehung der Krater und Gräben ist die Lage am Avon, dessen Ufer den Kräften im Untergrund keinen Widerstand boten.
 
Aufgebrochener Asphalt
 
Gesperrte Fußgängerbrücke
 
Häuser in luftiger Höhe
Die Höhenlagen von Redcliffs und Sumner waren dank der grandiosen Ausblicke aus luftiger Höhe sehr begehrte Wohnviertel. Aber beim Erdbeben im Februar - aufgrund der Nähe zum Epizentrum - war diese Lage ein Fluch. Die hohen Klippen brachen ab, riesige Felsbrocken stürzten auf Häuser im Tal und in luftiger Höhe gebaute Häuser baumelten über dem Abgrund.
 
Dieser "Kormoran-Fels" brach einfach zusammen und ist jetzt nur noch halb so groß wie einst.
 
Wahrzeichen der Stadt
So sieht die Kathdrale aus der Nähe aus. Diese Anglikanische Kathedrale - die ChristChurch Cathedral - ist das Wahrzeichen und der Namensgeber der Stadt. Als der Turm in sich zusammenstürzte, verlor die Stadt ihr Herz, sagen viele Leute. Zum Glück sind keine Menschen bei dem Einsturz gestorben. Die Mehrzahl der schönsten Kirchen von Christchurch sind eingestürzt oder schwer beschädigt worden. Meine Mama durfte als Journalistin auf den Platz vor der Kathedrale gehen.
 
... vor dem Museum...
Dieser William Rolleston war von 1868 bis 1876 der vierte und letzte Verwalter der Provinz Canterbury. Die Statue wurde 1906 aufgestellt, stand also 105 Jahre sicher auf dem Sockel.
 
Schwere Schäden
Leider ist dort fast nichts unbeschädigt geblieben. Wirklich traurig, denn im Arts Centre konnte man Kunsthandwerkern bei der Arbeit zuschauen und schöne Sachen einkaufen - nicht bloß Schokolade im Fudge Cottage... 
 
Dieser Turm, der auf dem Gehweg an der Rolleston Avenue steht, wurde aus Sicherheitsgründen - zum Glück! - schon nach dem Weihnachts-Beben abmontiert. Sonst wäre er vielleicht eingestürzt wie das Observatorium.
 
 
 
Nachbeben
Das Schlimmste an einem Erdbeben ist natürlich das Hauptbeben. Aber ein Erdbeben kommt nicht allein. Hin und wieder gibt's ein Vorbeben, dem dann das zerstörerische Hauptbeben folgt. Doch nach dem großen Beben folgen unzählige Nachbeben, die sich über ein Jahr oder gar länger hinziehen können. Wenn ich "unzählige" sage, meine ich tausende. Die meisten sind so schwach, dass man sie gar nicht wahrnimmt. Aber wir haben hunderte gespürt und hatten irgendwann die Nase voll von ihnen. Einige haben uns fürchterlich erschreckt, vor allem zwei 5,3-Beben. Nach einem dieser Rüttler fiel der Strom aus.
 
Krisengebiete am Fluss
Der Avon ist - neben dem Heathcote - einer der beiden Hauptflüsse in Christchurch. Er mäandert in engen und weiten Schlingen durch die Stadt. Das war in der Zeit vor den Erdbeben sehr idyllisch. Aber seit den Erdbeben sind die Straßen und Stadtteile in Flussnähe Krisengebiete. Der Avon wirkte wie eine Pufferzone, gab bei den Erdbeben nach - mit der Folge, dass die Straßen aufrissen und die Häuser verrutschten. Wo die Straßen aufbrachen, wurden meistens auch Kanalisationsrohre zerstört. Die Leute können nicht duschen, nicht auf ihre Toiletten gehen, keine Wäsche waschen.
 
Absturz-Gefahr
Direkt am Ufer des Avon liegen die Klubhäuser eines Ruder- und eines Kanu-Vereins. Dazwischen kann man in diese hundert Meter lange Kluft fallen.
 
Gefährliche Strecke
 
Angehoben oder abgesackt?
 
Container sichern die Straße
Damit herabstürzende Felsbrocken nicht auf die Straße stürzen und Autos zerquetschen, wurden entlang der Küstenstraße Container aufgestellt. Diese Küstenstraße ist der einzige Verbindungsweg von Sumner nach Christchurch. Die Alternativstrecke über Lyttelton - über den Evans Pass - ist gesperrt, weil diese kurvige Straße mit abgestürztem Gestein übersät ist.
 
Trotzdem ist der Felsbrocken am Strand der Lieblingsplatz einiger unerschrockener Tauben geblieben.
 
Die Colombo Street
Die Colombo Street ist die Hauptstraße, die das Stadtzentrum von Nord nach Süd durchzieht. Sie wird mittendrin unterbrochen vom Cathedral Square, dem Platz vor der Kathedrale. Hier schaue ich von der südlichen Absperrung in Richtung Kathedrale. Meine Güte, wie oft sind meine Mama und ich hier entlang gelaufen und mit dem Bus auf und ab gefahren. Acht Menschen sind in Bussen gestorben, auf die in der Colombo Street herabfallende Hausfassaden stürzten.
 
... ist abgestürzt
Rolleston kam 1858 nach Neuseeland - und ich nutzte die freie Fläche für eine Rast. Wie zu sehen, wurde das Canterbury-Museum, vor dem die Statue steht, nur leicht beschädigt. 
 
Trauriges Ende
Die Baptistenkirche an der Ecke Cambridge Terrace/Madras Street ist nicht mehr zu retten, sie ist nur noch eine traurige Ruine. Nach den ersten Beben hatte sie einige Risse, aber nach dem 22. Februar war sie kaum mehr zu erkennen. 
 

Englisch-Lektion

Untergrundverflüssigung =
               liquefaction
unterirdisch = underground
Sand = sand
Lehm = silt
Klippe = cliff
Fels = rock
Steinschlag = rockfall
Vulkan = volcano
Lava = lava
Kathedrale = cathedral
Turm = tower
Kirchturm = church spire, steeple
Türmchen = turret
Schaden, Beschädigung = damage
Zerstörung = destruction
zerstören = to destroy
Neuaufbau = rebuild
Universität = university
Kunst = arts
Kunsthandwerk = craft
Kunsthandwerker = craftsman
jemandem bei der Arbeit zusehen
   = to watch someone at work
Stadtzentrum = city centre
die Nase voll haben =
                      to be over it
ich habe die Nase voll =
                      I'm over it
 
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