Die Marquesas

Kreuzfahrt nach Nirgendwo mitten im Ozean
 
 
Obwohl oder gerade weil die Marquesas im Zentrum des Südpazifiks liegen, befinden sie sich irgendwo im Nirgendwo. Oder wie es auf Englisch heißt: "in the middle of nowhere". In der Mitte von Nichts. Das beschreibt in seiner Ungenauigkeit ziemlich genau, wie einsam und abgelegen vom Rest der Welt diese Inseln in den weiten Ozean getupft sind. Sie liegen ungefähr auf halbem Weg zwischen Südamerika und Australien. Tahiti, die Hauptinsel Französisch-Polynesiens, ist trotz seiner "Nähe" noch immer 1600 km entfernt.
 
Und doch sind die Marquesas das Zentrum der polynesischen Kultur. Von hier sind die Menschen einst ausgezogen und haben ihre Kultur in andere Teile des Südpazifiks
getragen: nach Hawaii, auf die Osterinsel, auf die Gesellschaftsinseln und von dieser Zwischenstation nach Neuseeland. Man erkennt die Ähnlichkeiten in Tempelanlagen, Skulpturen, Schnitzereien, ja, im kompletten Kunsthandwerk, in der Musik, im Tanz, in Tätowierungen und in der Sprache. Ich als Wahl-Neuseeländer habe viele Wörter gehört und Dinge gesehen, die ich von den Maori kenne.
 
Die Aranui-Kreuzfahrt ist sicherlich die zeitsparendste Art und Weise, um die Marquesas mit ihrer üppigen tropischen Vegetation kennenzulernen, auch wenn man überall gerne länger bleiben würde. Ohne die Aranui ist es sehr schwierig, von einer Insel zur anderen zu kommen, manchmal selbst von einem Tal zum anderen.
 
Nicht alle Inseln haben einen Flughafen und Fährverbindungen existieren nicht. Manche Abenteuerreisende warten auf eine Passage mit der Aranui von einer Insel zu anderen. 
 
Die Passagiere kaufen Kunsthandwerksgegenstände, essen und trinken. Die Aranui kauft Kopra, Noni und Mangos. Wenn die Aranui anlegt, ist ein Freudentag für die Einheimischen. Der Besuch bedeutet Geld und Arbeit. Ohne die Aranui, die alle drei Wochen zu ihren Kreuzfahrten startet, kämen jährlich nur 300 Touristen auf die Hauptinsel Nuku Hiva.
 
Das Tollste war, ein deutscher Bär zu sein. Und auch Mama als Mensch war ziemlich beliebt bei den Einheimischen, nicht bloß, weil sie so gut Französisch spricht. Warum, verrate ich Euch weiter unten.
 

Ein bunt blühendes Paradies im Regenwald 
 
Der Name
Bevor die Europäer die Inseln entdeckten, waren sie als "Te Henua Enana" bekannt, das Land der Männer. Der Entdecker Álvaro de Mendaña de Neyra taufte es 1595 nach dem spanischen Vizekönig „Las Marquesas de Mendoza“. Oder in der Langversion: „Las Islas Marquesas Don García Hurtado de Mendoza y Canete". Mendaña war auf der Suche nach dem Südkontinent von Peru nach Australien unterwegs.
 
Auf Französisch heißen die Marquesas "Archipel des Marquises", "Iles Marquises" und "Les Marquises", wie in dem Lied von Jacques Brel. Seit 1842 gehören die Marquesas zu Frankreich, mittlerweile zu Französisch-Polynesien, das ein  Überseegebiet (Pays d'outre-mer) von Frankreich ist.  
 
Die Infrastruktur
Die einzigen "Städte" mit Postämtern, Banken und Polizeistationen sind Atuona auf Hiva Oa, Hakahau auf Ua Pou und Taiohae auf Nuku Hiva. Auf dem Foto surfe ich im Postamt von Atuona. Man kann auch wireless surfen, wenn man ein Notebook oder ein Smartphone dabei hat, dazu braucht man aber eine Mana-Karte, die man auf der Post und online kaufen kann. Außer in diesen Orten ist man vom Rest der Welt abgeschnitten.
 
Wer ein größeres gesundheitliches Problem hat, muss so schnell wie möglich nach Papeete. Zu komplizierteren Behandlungen werden die Leute nach Auckland in Neuseeland oder nach Frankreich geflogen.
 
Klima und Wetter
Es gibt keine Trocken- und Regenzeit auf den Marquesas. "Es regnet immer", sagte Bernard, unser lustiger Reiseführer. Das heißt, es kann immer regnen - oder eben auch nicht. Wir haben zwar viele Wolken gesehen, aber so gut wie keinen Regen erlebt. Im Nordwesten ist es trockener als im Südosten. Es ist tropisch heiß, aber längst nicht so schwül, wie wir es auf den Gesellschaftsinseln oder gar in Samoa und Tonga erlebt haben.
Im Gegensatz zu den Gesellschaftsinseln und Tuamotus gibt's keine Hurrikane. Aber die Gefahr von Tsunamis ist groß.
 
Die Natur
Die Inseln sind die Gipfel einer aus der Tiefsee ragenden Gebirgskette vulkanischen Ursprungs. Deshalb sind sie zerklüftet und haben steile Berge, tiefe Täler und schroffe Klippen. Im Gegensatz zu Inseln wie Bora Bora gibt es nur wenige Strände, und nirgendwo gibt's eine Ringstraße, die rund um eine Insel führen würde.
 
Das liegt daran, dass die Inseln von keinen schützenden Riffen umgeben sind. Die Wellen krachen mit voller Wucht gegen die Küsten. Riffe gibt's keine, weil es zu deren Bildung wärmeres Wasser nötig wäre. Es gibt also auch keine seichten türkisblauen Lagunen. Trotzdem sind die Inseln atemberaubend schön und vor allem für Wanderer ein Paradies.
 
Die Tikis
Die Tikis, riesengroße Steinfiguren mit übergroßen Köpfen, die an die monumentalen Moais der Osterinsel erinnern, sind die beeindruckendsten Relikte aus der Hochzeit der Marquesanischen Kultur vor der Ankunft der Europäer.
 
Man kann ganz leicht einen Fauxpas begehen, wenn man sich auf einen Steinklotz setzt, falls dieser Steinklotz früher ein Kopf war - denn der Kopf war für die alten Marquesanern heilig, weil darin magische Kraft saß.
 
Andererseits glauben die Marquesaner heute nicht mehr an die alten Götter, so dass der Fauxpas nicht ganz so schlimm ist. Bloß damit eines klar ist: Der Stein, auf dem ich auf dem Foto sitze, ist kein Kopf! Ich ertappte aber in diesem Marae einen Mitreisenden, der es sich auf einem Kopf, der nicht wie ein Kopf aussah, gemütlich gemacht hatte.
 
 
Die Sprache
Da die Marquesas zu Französisch-Polynesien gehören, sprechen die Leute natürlich Französisch. Die Amtssprache ist Französisch. Aber die Ursprache ist Marquesanisch, die sich auch vom Tahitianischen unterscheidet. Es gibt sogar einen Nord- und einen Süd-Dialekt - so ähnlich wie in Deutschland... Die polynesischen Sprachen sind allerdings vom Aussterben bedroht. "Have mai" heißt: Willkommen!
 
Die Inseln
Die Marquesas bestehen aus zehn Hauptinseln, von denen sechs bewohnt sind - und die werden von der Aranui allesamt besucht: Nuku Hiva, Ua Pou und Ua Huka im Nordwesten sowie Hiva Oa, Tahuata und Fatu Hiva im Südosten.
 
Die Geschichte
Die Gelehrten streiten sich darüber, wann genau die Marquesas besiedelt wurden. Für mich als Bär ist es unerheblich, ob es 100 vor oder 300 nach Christus passierte. Auf jeden Fall kamen die Polynesier aus Westen, vermutlich aus Samoa oder Tonga. 1595 wurden die Inseln von dem Spanier Álvaro de Mendaña entdeckt. Danach gerieten sie in Vergessenheit. James Cook wiederentdeckte sie 1774.
 
Danach segelten ziemlich viele Forschungsreisende sowie  englische und amerikanische Missionare zu den Marquesas. Doch erst die französischen Missionare, die 1838 ankamen, hielten es auf den rauen Inseln aus. Das war der Anfang vom Ende der Kultur der Marquesas.
 
Die Religion
  
Die Kirchenleute verboten nach ihrer Ankunft den Marquesanern alles, was bis dahin ihre Kultur ausgemacht hatte, von der feinen Schnitzkunst bis hin zu Tätowierungen - bis nach 1973! Dass der Kannibalismus, Schädelpräparierungen und die Stammeskriege ein Ende fanden, waren zwei der wenigen positiven Züge der Kolonialisierung. Die Religion heute ist eine Verschmelzung aus christlichem Glauben, alter Handwerkskunst und Integration der Ureinwohner. Das Marquesanische Kreuz, auch Symbol der Aranui, basiert auf der Tätowierung eines Manns mit erhobenen Armen.
 
Die Menschen
Die Bevölkerung wurde nach der Ankunft der Europäer nahezu ausgerottet. Sklavenhändler, sogenannte „Blackbirders“, verschleppten viele Marquesaner nach Peru, und jene, die in der Heimat blieben, starben an eingeschleppten Krankheiten. Einst bevölkerten 80.000 Menschen „Te Henua Enana“ (manche sagen, es waren nur 35.000). 
 

Damit waren die Inseln überbevölkert, es gab Hungersnöte, und daraus resultierten kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern benachbarter Täler. Aber 1926 gab es nur noch 2000 Marquesaner. Heute leben knapp 9000 Menschen auf den sechs bewohnten Inseln. Die Kinder müssen nach der Grundschulzeit nach Tahiti übersiedeln. Zum Studium gehen die meisten nach Frankreich.

 

Das Glück, ein deutscher Bär zu sein

Wenn uns Einheimische fragten, woher wir kämen, sagten wir natürlich: "Aus Neuseeland." Aber wir fügten immer an: "Aber wir sind Deutsche." Das hat die Leute ungemein gefreut, und jeder, egal ob Lehrer oder Schulkind, entgegnete: "Kennt Ihr Karl von den Steinen? Er hat unsere Kultur gerettet."

 

Ja, wirklich! Dieser deutsche Mediziner, Ethnologe und Forschungsreisende hat mit seinen detaillierten Zeichnungen, die er während seines Aufenthalts 1897 und 1898 für das Berliner Museum für Völkerkunde anfertigte, die Kunst der Marquesaner für die Nachwelt erhalten. Alles, was die Kinder jetzt lernen, basiert auf von den Steinens Aufzeichnungen.

 

Ich kam aber nicht nur mit den Marquesanern gut aus. Ich habe auf der Aranui viele nette Leute getroffen, und einige sind meine Freunde geworden - so wie Raffaele aus Rom, den ihr auf dem Foto oben seht.

 
 
 
 
 
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